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KI und Fachkräftemangel

Profilbild Themis Foresight

In unserem Future Lab letzte Woche führte Dr. Bettina Volkens, ehem. Personalvorständin der Lufthansa an, dass der HR-Bereich eine höhere Priorität auf Vorstandsebene erhalten muss. Klar ist: der Arbeitsmarkt steht vor großen Veränderungen und der Fachkräftemangel wird uns noch eine ganze Weile begleiten. In der nächsten Dekade werden mehrere Millionen Erwerbstätige fehlen. Es leuchtet also ein, dass HR eine höhere Aufmerksamkeit in Unternehmen erhalten muss. Heutige Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel greifen jedoch nur oberflächlich. Sie ignorieren das eigentliche Problem: die Fische im Teich werden weniger. Viele Unternehmen setzen auf falsche Trendpferde, anstatt bestehende Arbeitskraft durch Automatisierung und einen klareren Fokus freizusetzen.

In diesem Whitepaper erfahren Sie, welche Folgen die Integration von KI in Arbeitsabläufe hat und welche Aspekte Ihr Personalwesen auf dem Schirm haben muss.

Falsche Trendpferde

In den nächsten 12 Jahren werden 7 Millionen Menschen oder 15% den Arbeitsmarkt Deutschland verlassen. Würde sich bis dahin am Bedarf an Arbeitskraft nichts ändern, würden im Jahr 2035 Unternehmen gegeneinander um Mitarbeitende in einem permanent um 10% unterdeckten Arbeitsmarkt konkurrieren. Es wird sicher anders kommen, doch die Frage ist wie?

Wir haben uns in den letzten Monaten immer wieder angeschaut, was die klassischen Personalberatungen ihren Kund:innen empfehlen:

  • „Das Recruiting muss sich an den Arbeitskräftemangel anpassen.“
  • „Das Homeoffice wird bleiben.“
  • „Mit Zusatzleistungen kann man sich von der Konkurrenz unterscheiden.“
  • „Employer Branding wird eine entscheidende Rolle beim Halten und Gewinnen von Mitarbeitenden spielen.“
  • „New Work“

In unseren Future Labs sprechen wir über falsche Trendpferde. Tauschen Sie sich einen Tag intensiv zu einem Fokusthema mit Executives anderer Branchen aus.

Diese derzeit gängigen „Weisheiten“ sind zwar nicht falsch, aber blind für den eigentlichen Eisberg. Das Homeoffice mag in manchen Tätigkeitsbereichen bleiben, doch war es auch schon in den Zeiten der Covid-Lockdowns keine Lösung für Arbeit in der Produktion. Maschinen beladen und reparieren sich oft noch nicht von allein. Employer Branding ist sicher ein hilfreiches Instrument, das eigene Unternehmen in den Arbeitsmarkt strahlen zu lassen. Doch werden Sie nicht die einzigen sein, die mit diesem Mittel versuchen, Fachkräfte anzulocken. Bei bis zu 7 Millionen fehlenden Arbeitskräften ist der Teich, in dem wir fischen, leer. Sie mögen ja einen leckeren Köder auswerfen, aber wo keine Fische sind, beißt auch keiner an.

Auch das vielgepriesene „New Work“ ist kein Rezept, das Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, Erfolg verspricht. Aus zwei Gründen: 

1) Als New Work vor inzwischen über 40 Jahren ersonnen wurde, war das Problem, das es zu lösen versuchte, ein ganz anderes. Die ersten Centers for New Work im Detroit der 80er-Jahre versuchten das Problem der Massenarbeitslosigkeit aufgrund der Massenentlassungen in der von der Ölkrise gebeutelten Autoindustrie zu lösen. Das ist das Gegenteil der heutigen Situation! 

2) Die Medizin, die von Frithjof Bergmann und seinen Mitstreiter:innen verabreicht wurde, war ein Wirtschaftsmodell kommunaler Selbstversorgung – gewissermaßen eine Weiterentwicklung der Ideen des russischen Anarchisten Michail Bakunin im 19. Jahrhundert, der die Industrialisierung bekämpfte. Solche Wirtschaftsmodelle können funktionieren und benötigen dafür passende Arbeitsmodelle. Aber der Schuh passt nicht für Industrieriesen wie Siemens, Volkswagen oder Bayer oder die vielen Hidden Champions und KMU in der deutschen Wirtschaft.

Auch Forderungen nach Lockerungen der Regeln für Arbeitsmigration sind an sich nicht falsch. Doch auch diese setzen in vielen Fällen an einer Fiktion an. Denn der demografische Wandel ist kein deutsches Phänomen. Ganz Europa altert. China altert schneller als Deutschland. Der einzige Kontinent, der auf lange Sicht Nachwuchs schafft, ist Afrika. Vielleicht haben sie auch gelesen, dass dem Tesla-Werk bei Berlin noch immer 5.000 Arbeitskräfte fehlen. Diese sollten zum großen Teil aus Polen kommen. Doch diese Rechnung geht nicht auf.

Automatisierung von Kopf- und Handarbeit

Ein vielversprechenderer Ansatz ist die konsequente Automatisierung aller sich wiederholenden Tätigkeiten. In diesen Bereichen hat es in den letzten Jahren massive Fortschritte gegeben! Wir müssen uns nur die Bilder von Verpackungsrobotern in Lagerhallen vor Augen führen oder mit einer Drohne durch die Gigafactory Grünheide fliegen, um uns eine Arbeitswelt von morgen mit mehr Robotern als Menschen vorzustellen. Dass das wirtschaftlich hochgradig sinnvoll ist, wird von Christoph Krachten in diesem Artikel gut aufbereitet.

Der Hype der letzten Monate rund um ChatGPT führt auch deutlich vor Augen, welche Tätigkeiten, die bis vor Kurzem noch scheinbar „für immer“ in der menschlichen Domäne lagen, durch Algorithmen mit hoher Effizienz ausgeführt werden können. Das Potenzial, Arbeitskraft freizusetzen oder vielmehr fehlende Arbeitskraft zu kompensieren ist enorm. Und es lohnt sich für Unternehmen, genau in diese Richtung zu denken. Ist es weiterhin sinnvoll, zehn FTE mit der Erstellung von Texten oder Foliensätzen zu beauftragen oder integrieren Sie bald diese Tätigkeiten in ihren Arbeitsalltag wie dereinst das Telefonieren, Tippen oder E-Mails?

Unsere Angebote zu KI und Arbeit

  • Wenn Sie Interesse daran haben, mit uns diese Themen zu vertiefen und über Ansätze nachzudenken, die über Employer Branding und New Work hinausgehen, dann kommen Sie gern zu unserem Future Lab am 20. September in Berlin zu KI in der Arbeitswelt.
  • Lesenswert istdieses Whitepaper, in dem wir die zunehmende Verschmelzung menschlicher und maschineller Tätigkeiten beleuchten. Wie wird Robotik und Künstliche Intelligenz das Personalwesen in Unternehmen erweitern? Welche menschlichen Fähigkeiten spielen zukünftig noch eine Rolle? Welche Überlegungen müssen Unternehmen in Bezug auf ihre Arbeitsabläufe anstellen, wenn KI integriert wird?
  • Wenn Sie bereits KI einsetzen oder planen, ein KI-System zu integrieren, eignet sich unsere KI-Masterclass, um alle relevanten Mitarbeiter:innen an Bord zu holen.
  • Ob Compliance, Datenschutz oder externe Prüfer. Der Einsatz von KI in Unternehmen braucht ethische Richtlinien. Für die interne und externe Prüfung: Downloaden Sie unsere KI-Checkliste. Was fehlt bei Ihren KI-Ethik-Richtlinien?

Der Einsatz solcher Technologien erfordert:

Neue Skills und Kompetenzen

Gehen Sie den Weg einer konsequenten Automatisierung ihrer Produktions- und Bürotätigkeiten, werden sie nicht gezwungen sein, in einem überfischten Arbeitsmarkt nach Fachkräften zu suchen. Sondern sie trainieren Ihre Mitarbeitenden heute schon auf Tätigkeiten, die in 2, 5, 10 und 15 Jahren Normalität sein werden. Wie diese Tätigkeiten aussehen, lässt sich heute schon beschreiben. Denn die Herausforderungen und Folgen von neuen Technologien lassen sich ablesen, noch lange bevor diese serienreif sind. In unserem Future Lab zu Future Skills und die Zukunft der Arbeit letzte Woche diskutierten wir mit Executives, dass Wissen in den nächsten Dekaden an Bedeutung verlieren wird, die richtige Einstellung, wie z.B. Neugier oder Lernbereitschaft einer Mitarbeiterin, jedoch zunehmend gefragt sein wird.

In einem Projekt Anfang 2017, in dem wir auch die Interaktion zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz untersuchten, stolperten wir über das Problem, dass KI voller Vorurteile steckt und wir über kurz oder lang gezwungen sein werden, KI zu entwickeln, die Unternehmenswerte respektiert und einhält. Wir wussten nicht, wie diese Tätigkeit in Zukunft heißen wird und gaben ihr den Namen „KI-Flüsterer“. Doch konnten wir sehr genau antizipieren, mit welchen Methoden Menschen in dieser Tätigkeit arbeiten werden, mit welchen Iterationen von Technologie, mit wem sie kommunizieren werden, wie sie an ihr Unternehmen gebunden sind und welche Bedürfnisse sie haben werden. In diesem Projekt entwarfen wir über ein Dutzend zukünftiger Tätigkeitsprofile in White Collar und Blue Collar-Bereichen und waren sehr erfreut, dass die erforderlichen Skills und Kompetenzen danach in zwei Trainingsprogrammen für Mitarbeitende des Unternehmens ausgerollt wurden.

Einige dieser Ergebnisse flossen in unser Buch „Die Zukunft der KI im Talentmanagement“ ein. Ein weiteres hervorragendes Buch zu diesem Thema ist „Employability Management 5.0“ mit einer Sammlung hervorragender Artikel zu kontinuierlichem Lernen.

Die zukünftige Rolle von HR

Kommt die Arbeitswelt von morgen so wie oben angerissen, dann verändert sich auch die Rolle von Personalarbeit. Denn dann gilt es, das Zusammenspiel von Menschen, Robotern und Algorithmen zu orchestrieren. Erst neulich berichtete mir ein COO von einer großartigen Maschine, die sein Unternehmen sich angeschafft hatte. Leider hatte sie den Mangel, dass ihre Programmiersprache so kompliziert war, dass nur die wenigsten sie erlernen konnten. Und es kommt immer wieder zu Produktionsausfällen, weil die wenigen Mitarbeitenden, die die Maschine programmieren können, krankheits- oder urlaubsbedingt immer mal wieder ausfallen. Wenn diese Maschine ein Mensch gewesen wäre, hätten Sie ihn eingestellt?

Personalbereiche von Unternehmen werden in Zukunft deutlich mehr eine Entscheidungsfunktion haben, wenn es um den Einkauf von Maschinen und Algorithmen geht. Das Problem der oben genannten Maschine ist einfach zu lösen. Low Code-Anwendungen, die es Menschen ermöglichen, Programme zu erstellen, indem sie z.B. Prozess-Piktogramme neu arrangieren und einer Engine die eigentliche Programmierung überlassen, gibt es heute schon. Dem Hersteller dieser großartigen Maschine wird zukünftig keine Wahl bleiben, als eine Lowcode-Anwendung mit seiner Maschine auszuliefern. Wie diese Lowcode-Anwendung auszusehen hat, wird HR vorgeben.

Das Gleiche gilt für die Auswahl von Algorithmen. Wenn Ihr Unternehmen sich Diversität, Fairness, Chancengleichheit auf die Fahnen schreibt, dann müssen Algorithmen diese Werte leben können. Die Anforderungen beim Einkauf wird HR besser formulieren können, als ihr IT-Bereich.

Weg mit den Bullshit-Jobs!

Aber es gibt noch einen weiteren Weg, Fachkräftemangel zu bekämpfen. Und das ist das konsequente Abschaffen von sogenannten Bullshit-Jobs. Der Anthropologe David Graeber verfasste hierzu in 2018 ein lesenswertes Buch, in dem er untersuchte, wie viele überflüssige Tätigkeiten es gerade in der Privatwirtschaft gibt. Nicht nur würde es aus betriebswirtschaftlichen Aspekten hochgradig sinnvoll sein, unnütze Tätigkeiten abzuschaffen und das Reservoir an gut ausgebildeten Mitarbeitenden für sinnvolle Tätigkeiten freizusetzen. Es würde auch die immense psychische Gewalt, die solche Mitarbeitenden in Depressionen und Ängste treibt, abschaffen. Graebers Buch ist stark von seiner anarchistischen Weltanschauung geprägt und in guten Strecken mit Vorsicht zu genießen. Sein Rezept eines bedingungslosen Grundeinkommens kommt mit mehr Problemen als Lösungen daher. Doch das gesagt, schauen Sie sich doch einmal in Ihrem Unternehmen nach dem Lesen dieses Buchs um und überlegen, wie viele Mitarbeiter mit sinnbefreiten Tätigkeiten, die keinerlei wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Mehrwert bieten, beschäftigt sind.

Anfang des Jahres las ich darüber, dass die Bundesnetzagentur einen Faxdienstleister sucht, der für die nächsten 1-5 Jahre (!!!) monatlich 3-4.000 ein- und ausgehende Seiten faxen soll. Ich weiß nicht, was perverser ist. Dass aus Steuergeldern solch ein Unsinn bezahlt wird? Oder dass es Firmen gibt, die Menschen jahrelang damit quälen, Tausende Faxe im Monat zu verschicken und zu empfangen?

Ist es nicht an der Zeit, menschliche Arbeit von bürokratischem Unsinn zu befreien und die Qualitäten, die keine Maschine und kein Algorithmus besitzt, zu entfesseln für Innovationen, die wir so dringend benötigen? Nur Menschen besitzen: Kreativität, Originalität, Metakognition, Vorstellungskraft, Bewusstsein und Selbstbewusstsein, Geselligkeit, Empathie und Neugier.

Wir freuen uns auf anregende Diskussionen mit Ihnen.


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